„Who cares about me? Who calls? Who is here to protect me?”


Der junge Sebastian, auch Chaplin genannt, ist ein talentierter Schlösserknacker. Das heißt, dass die Bande, die regelmäßig in Gebäude einbricht, dringend auf ihn angewiesen ist.
Eines Tages tummelt sich der Kern der Gruppe auf einem Schrottplatz herum. Plötzlich kommt die Schwester des Anführers wutentbrannt auf ihn zu gerannt und fragt, wo ihr Laptop sei. Die schöne Emilia verzaubert Sebastian gänzlich und er gibt alles, um ihren Computer zu finden.
Dadurch kommt ihr erstes Treffen zu Stande. Bis jetzt ist dem Publikum noch ungewiss, ob die Zuneigung nur aus gezwungener Dankbarkeit oder auf Grund von Sympathie basiert. Doch Sebastian hat sich längst in sie verliebt. Er sieht sie in einem besonders fesselnden Blick an, der fast schon ein wenig bedrohlich wirkt.
Auf diese Art und Weise driftet er in seine Tagträume, die von sehr kitschig und romantisch bis zu gefühlsvoll reichen. Die Wendung nimmt nach einer Prügelei mit tödlicher Folge ihren Lauf. Nun kann sich der ruhige Chaplin nicht mehr im Umfeld der anderen Kriminellen blicken lassen.
Sebastian kann und will nicht mehr. Er möchte aus dieser Lebenssituation entkommen. Einfach nur weg, neu starten. Raus aus der Drogen- und kriminellen Welt. Und das am liebsten mit seiner großen Liebe Emilia. Jetzt gibt es sowieso nichts mehr, was ihn noch in seiner Heimat hält, die er wahrscheinlich nicht mal „zu Hause“ nennen kann.
Das einzige was Sebastiàn aufheitert, ist Emilia und ihre schönen Gedichte, die seine Gedanken auf den Punkt bringen.

„El sonador“ überzeugt mit langsamen Bildern, schönen Settings, wie z.B. die große dürre Sandfläche. Es wird wenig mit Dialog, sondern mit Mimik und Körpereinsatz gearbeitet. Wunderbar kann man sich in die Lage des Jungen versetzen. Durch die sich langsam immer mehr verschlimmernde Lage, kriegt der Zuschauer selbst ein bedrückendes Gefühl zu spüren. Verzweiflung, die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die er während seiner Kindheit nie bekam, wird zum Ausdruck gebracht.
Dieser Film wird eine große Masse ansprechen, weil jeder schon mal das Gefühl der Unterdrückung erlebt hat. Mir fehlen ehrlich gesagt die passenden Worte, aber der Schrei nach Freiheit und einem „richtigen zu Hause“ ist kein einfach zu bewältigendes Thema.
Der Film ist mit wenigen Spezialeffekten ausgestattet, was in sich sehr stimmig ist. Der Cast passte perfekt, die Beziehungen werden authentisch dargestellt. Das Schlichte, zieht sich durch die ganze Geschichte hindurch, nur selten begleiten Einsätze der melancholischen Musik die Tagträume. Die Kunst des Schauspielens wird hier auf die Probe gestellt, was den Darstellern nur zu Gute kommt.
Der Regisseur „Andriàn Saba“ setzt sich nicht, wie bei vielen anderen Filmen der diesjährigen Berlinale, mit dem Vermischen von Traum und Realität, sondern mit dem natürlichen Tagträumen auseinander. Dadurch hat das Publikum eine größere Chance, sich auf die Gefühle des Hauptcharakters einzulassen. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass sich nach dem Screening noch viele Gedanken um dieses Thema gemacht wurden.
Durch das langsame Tempo, mag die Geschichte nicht überaus spannend wirken, aber darauf lag auch nicht der Schwerpunkt. Fesselnd ist „El sonador“ wegen seiner realen Darstellung.

Mein kleiner Kritikpunkt ist allerdings die brutale Gewalt, die so häufig und ausführlich gezeigt wird. An manchen Stellen driften die Tagträume für meinen Geschmack zu sehr in die gewollt-romantische Richtung ab. Auch der Cliffhanger am Anfang störte mich etwas. In der ersten Szene wird ein Blick in die Zukunft gegeben, in der der Protagonist stark verletzt in der Wüste eine Flaschenpost findet, die aber nicht zu entziffern ist. Der Film endet abrundend mit der gleichen Szene, jedoch kann Chaplin jetzt den Text auf dem Zettel erkennen: „Camina“ (zu Deutsch „Lauf“). Was es damit auf sich hatte, blieb unklar. Die positiven Aspekte überwiegen trotzdem weiterhin deutlich und dem Publikum wurde eine gute Botschaft mitgegeben.
Gib nie auf, bleib' stark und gehe deinen Weg.
18.2.2016, Eva Swiderski

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