Rhythmik und Vielfalt- Kurzfilme 1


Während man noch im Kino sitzt, und die Kurzfilme hintereinander an einem vorbeirauschen, hat man wenig Zeit sich zu jedem einzelnen Gedanken zu machen. Doch gerade das, sollte man unbedingt tun. Auf der Fahrt nach Hause gibt es dann endlich etwas Zeit dafür.

Keiner dieser Filme suggeriert eine einzige Interpretationsweise. Dafür ist die Handlung zu vielschichtig. Jeder Besucher sieht die kurzen Werke anders.
Es gibt selten eine eindeutige Erklärung zu dem, was man gerade sieht und genau das ist das Besondere an der Berlinale. In keinem der Filme, die auf dem Festival gezeigt werden, geht es darum einen klaren, eindimensionalen Handlungsstrang zu präsentieren.
So auch hier. Die meisten Kurzfilme endeten mit einer offenen Frage, einer Botschaft oder manchmal sogar mit einer Moral.
Blind Vaysha“ hieß das 15 minütige Werk, das mich sofort begeistert hat. Die Ästhetik dunkel gehalten, ist das gezeichnete Bild ständig in Bewegung. Ruhige, aber rhythmische Musik, lässt die Personen surrealistisch wirken.
Die Idee war einfach faszinierend. Vaysha sieht auf einem Auge die Vergangenheit, auf dem anderen die Zukunft. Ein zweiseitiges Bild, was dem Zuschauer fantastisch gezeigt wird. Während wir einen kurzen Einblick in das Leben dieser Person bekommen, versinkt man nahezu perfekt in diese Welt, indem sich alte Frauen oder Greise rhythmisch und tänzerisch bewegen, und gleichzeitig als kleine Kinder dargestellt werden. Dazwischen wird immer wieder das Motiv der zugleich auf und abgehenden Sonne eingeblendet.
Die Botschaft an die Zuschauer lautet: abwechselnd ein Auge zumachen. Es erscheint einerseits ein leeres Blatt, die Geburtsstunde, andererseits die Dunkelheit.
Ein Werk, das über unsere Vergangenheit und Zukunft nachdenken lässt. Kurz vor dem Ende gibt es noch eine Aufforderung an die Zuschauer, mehr wie Vaysha zu denken.
Diese Idee hätte man noch so viel weiter ausschöpfen können und voller unerwarteter Wendungen gestalten können, dass ein einfacher Einblick in ihre Situation keineswegs langatmig geworden wäre. Jedoch sind wir hier bei den Short Films.
Die Leinwand wird nur hell, um sofort wieder dunkel zu werden.
Wir sehen, trotz des heißen Sommers, eine dunkle Wolke über Berlin ziehen. „Berlin Metanoia“ ist eine verrückte Collage über die verrückteste Stadt des Universums. Auch wenn dieser Film aus einem riesigem Chaos besteht, scheint es doch einen roten Faden zu geben.
Hier trifft eine Art Mockumentary über die Menschen der Stadt auf eine Botschaft an dessen Bewohner. Lachen kann man genug während des kurzen Films. Zum Beispiel über die Parodie einer Eilmeldung im Fernsehen oder über einen gutgelaunten Tonmeister im Studio. Auch die Touristen der Stadt sind satirisch dargestellt. Es wurde versucht einen Eindruck dieser unbeschreiblichen Stadt zu liefern.
In Berlin gibt es keine Grenzen. So wie die Wolke über der Stadt, verschlingt der hektische Rhythmus die Bewohner Berlins. Eine Frau mit brennenden Haaren, der bis zum Schluss keiner hilft, rennt verzweifelt umher. Doch statt Zivilcourage zu zeigen, zündet sich eine Person eine Zigarette an ihr an.
Sind das subtile Anspielungen, dass wir Berliner die Menschen anders sehen?

Zuletzt bekommt das Publikum kurz einen Ausschnitt aus Kores Leben zu sehen. Sie arbeitet als Hörspielsprecherin und nimmt gerade im Studio auf. Sie kann sich aber nicht konzentrieren, da ihr zu vieles durch den Kopf geht. Berlin Metanoia endet damit, dass sie sich einem aus dem Zoo geflüchtetem Bären als einzige stellt. Sei mutig wie ein Bär und nimm dir Zeit, die Stadt zu bewundern.

Eine Menge Elemente des Widerspruchs kommen im Film vor. Es geht vom Punkrocker, der zum SEK Polizisten mit Gewehr wird bis zum vermeintlichen Obdachlosen, der zum Anzugträger mit Aktenkoffer wird, als er sich plötzlich von seiner Luftmatratze unter der Brücke erhebt.
Auch ein verträumter Hipster, der über Berlins Geschichte liest und sie dann mit eigenen Augen erlebt wird auf die Leinwand projiziert. Für jedes dieser Elemente gibt es verschiedene Interpretationsideen, die sich jeder individuell zu Recht legen soll. Warum sind wir immer noch in dem „Kasten-denken“ gefesselt?
Der Obdachlose könnte genau so gut Manager sein, sowie auch der Punker genauso gut die Stadt beschützen kann... Sicher ist, dass die Vielfalt und die Verrücktheit die Berlin ausmacht, hier interessant präsentiert wurden.
Nun zu „Sensiz“, dem ersten Film des Abends. Anfangs war er so verwirrend, dass ich ihn nicht verstand und er mir dadurch nicht zusprach. Doch es heißt ja: „mit Zeit, kommt Rat“ und so hatte ich plötzlich den Einfall.
Im Film sind zwei Brüder auf dem Weg zum mutmaßlichen Geburtstag des dritten Bruders. Als sie eine Panne haben, wandern sie zu Fuß durch die Steppe um rechtzeitig anzukommen. Bei Sonnenuntergang erreichen sie das Ziel. Jedoch ist es weder ein Haus noch ein Fest.
Dem Zuschauer offenbart sich ein sehr altes Wrack eines Autos. Frontal an einen Baum gefahren, scheint es seit mehreren Jahren dort zu stehen.
Die Jungen knien sich kurz vor das Auto, zünden während des Sonnenuntergangs eine Feuerwerksbatterie an und setzen sich schweigend auf das zertrümmerte Auto.
Auch wenn es einem jetzt einleuchtet, ist diese Geschichte erst beim zweiten oder dritten Blick zu erkennen. Die träumerische, melancholische Stimmung in der fernen Steppe und die zwei Brüder, die statt Tränen zu vergießen, den Bruder mit ihrer eigenen Tradition würdigen, reißen das Publikum kurz in eine ferne Welt.

Es gab viele gute, verschiedene Filme an diesem Abend. Doch meiner Meinung nach erreichte keiner das unglaublich hohe Niveau der drei oben beschriebenen Filme. Einen Besuch sind die „short film nights“ auf jeden Fall wert!
20.2.2016, Eva Swiderski & Thomas Kuhn (Gastschreiber)

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