Raya, die Kämpferin


Wie kann man bitte als Mutter seine zwei Kinder zurücklassen, auswandern und dort ein neues Leben beginnen, ohne jemals die Kinder hinterherholen zu wollen?

In dem 14Plus Film Es Esmu Seit befindet sich die 17-jährige Raya in eben dieser Situation. Ihre Mutter zog nach London auf der Suche nach einem besseren Leben, während Raya und ihr jüngerer Bruder mitten auf dem Land in Lettland in einer einsamen Hütte mit ihrer Oma leben.
Allzu bald stirbt die Großmutter, doch da Raya noch nicht volljährig ist und noch dazu nicht das Sorgerecht für ihren Bruder besitzt, begraben sie die Oma still und leise im Wald.
Von nun an leben sie und ihr Bruder alleine, es scheint alles relativ gut zu laufen, doch auf Dauer kann das natürlich nicht so weiter gehen. Raya ist entschlossen, ihre Mutter zurückzuholen.
Doch als sie sich letztendlich gegenüber stehen, wird Raya klar, dass ihre Mutter nicht zurückkommen wird. Sie hat längst eine neue Familie gegründet und lässt bereitwillig ihre beiden Kinder ohne irgendeinen Kümmernden in ihrer trostlosen Heimat zurück.

Der ganze Film ist ziemlich trist gehalten, was durchaus auch an der Landschaft liegt. Es hat etwas sehr Bedrückendes, wie sie dort leben. Immer mehr Leute ziehen vom Land in die Großstadt, auch ihr bester Freund geht fort. Doch Raya ist entschlossen, dort zu bleiben. Sie macht für sich das Beste aus der Situation. Sie bewahrt die Hoffnung, sie ist eine Kämpferin. Sie hat immer einen Weg vor Augen, wie es nun weitergeht.
Auch als klar wird, dass ihre Mutter nicht zurückkehren wird, gibt Raya nicht auf und wie Elina Vaska, die Schauspielerin Rayas, es nach dem Film im Publikumsgespräch formulierte: Es Esmu Seit ist trotz all dieser Bedrückung dennoch kein niederschmetternder Film. Zumindest sieht man eigentlich bis zuletzt die Geschichte einer starken Frau und auch das offene Ende kann dementsprechend positiv gedeutet werden. Die Hoffnung ist immer spürbar.

Mir hat der Debütfilm von Renars Vimba sehr gut gefallen. Die Atmosphäre, die Handlung und die Musik; alles ist in sich stimmig. Es ist ein sehr ruhiger Film. Er lebt mehr von seinem Ausdruck als von Dialogen, doch all dies fügt sich perfekt zusammen.
Es wird kaum Musik gespielt, doch auch dies passt dazu. Es macht nachdenklich. Man ist berührt, schockiert und fassungslos bei dem Gedanken daran, wie eine Mutter einfach so ihre Kinder zurücklassen kann, und dennoch beeindruckt von der Zielstrebigkeit und dem Durchhaltevermögen Rayas.

Vieles spielt sich nicht oberflächlich sondern in den Menschen ab. Raya beispielsweise zeigt den Film über kaum Gefühle, dennoch merkt man, wie hart diese Situation für sie ist. Umso mehr kann man sich mit ihr identifizieren, sie verstehen und für ihre Ausdauer bewundern.

Auch das Thema des Fortgehens spielt eine große Rolle. Viele Länder in Osteuropa haben momentan das Problem, dass viele junge Menschen auswandern oder in die nächste Großstadt ziehen, um bessere Chancen zu haben.
In Es Esmu Seit wird dennoch gezeigt, welche Verbundenheit Raya zu ihrer Heimat hat und dass sie dem Trend trotzt und dort bleibt, was auch immer geschieht.

Alles in allem also ein sehr empfehlenswerter Film, der zwar bedrückt, aber auch beeindruckt und nachdenklich zurücklässt.

English Version
How can a mother leave her two children behind, emigrate and not intend to take them with her?

In the 14Plus film Es Esmu Seit 17-year-old Raya is exactly in this situation. Her mother has moved to London in order to gain a better life whilst Raya and her younger brother stayed in Latvia in a forlorn house on the countryside with their grandma.
Soon the grandmother dies but since Raya is not of full age yet and does not have child custody for her brother they decide to burry the grandma in the woods and live on their own from now on.
They seem to master this situation quite well but it obviously cannot go on like this forever. So Raya decides to look for her mother. When – after a long journey – she finally meets her she soon has to realize that the mother will not come back to Latvia. She willingly left her two children behind whilst starting a new family in London, whilst starting a better life. There was no place for her two other children.

Being held in sad, dark and grey colours, showing much of the Latvian landscape the film is quite oppressing. Many people there move to the big cities or emigrate. There are not many left. Everything seems to be a bit forlorn and cheerless.
But not for Raya. She is determined to make the best out of her life. No matter how often she gets disappointed, no matter how often her journey of finding her mother had to be interrupted because there was just no way of getting there Raya was resolute. She knew what she wanted and she was not willing to give up until she got it. Even when she has to admit that her mother will in fact not come back she stays hopeful. This hope is something you can feel throughout the whole movie. Es Esmu Seit is the story of a strong, emancipated young woman.

I really enjoyed the debut feature film of Renars Vimba. The atmosphere, the story and background: all that fit perfectly. It was a very quiet movie building up more on facial expressions than on conversations but in exactly this it has more power over the audience. This heaviness can sink into the audience way better than dialogues could ever manage.
The film is touching and shocking. One cannot understand: how is it possible for a mother to seriously leave her children behind?
However one does not leave the cinema feeling totally destroyed. Quite the contrary: Raya’s character is such a strong woman. A woman who inspires and intrigues.

In conclusion a wonderful movie definitely worth watching!

15.02.2016, Sarah Gosten

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